Keine „moderne“ Produktionsweise wirtschaftet unter den widrigen klimatischen Bedingungen ähnlich effektiv, umweltschonend und nachhaltig wie die der Viehnomaden in Nord- Kenia. Es ist also sinnvoll, ihre Produktionsweise für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Wir wollen, dass die Nomaden an der „Welt“ teilnehmen können und nicht in einen „Jurassic Park“ für vormoderne Lebensformen abgeschoben werden. Es geht um die Integration ihrer Kultur, ihrer Lebensweise in die „moderne“ Welt.
Was sind – neben den bekannten Problemfeldern wie Klimawandel und fehlende Infrastruktur – die größten Herausforderungen?
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Den fast autarken Viehnomaden fällt es schwer, sich in das moderne Bank- und Geldsystem zu integrieren. Folgerichtig ist ihre „Marktmacht“ sehr gering. In der Konsequenz bedeutet es, dass sie ihr Vieh zu billig verkaufen, Waren und Dienstleistungen jedoch zu teuer einkaufen müssen.
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Das traditionelle, postkoloniale Bildungssystem ist bei dem Versuch, die Analphabetenrate effektiv zu senken, gescheitert. Außerdem werden die Kinder, die die Schule abschließen, der Kultur entfremdet und statt „Empowerment“ durch Bildung kommt es zum „Brain drain“ in den Communities der Nomaden.
Wohl wissend, dass es hierfür einer umfassenden Strategie bedarf, möchten wir uns auf den Bereich Bildung konzentrieren. Wir wollen nicht in Konkurrenz zum staatlichen System treten, sondern die „Träger der Kultur“, die Mütter im Dorf (Manyattas) und die jungen Krieger in den Weidegebieten (Fora) erreichen. Dabei werden wir die Neugier, die Flexibilität und den Wissensschatz der Nomaden nutzen.
EEE – Konkret:
Mit einem tabletbasierten E-Learning Programm, umgesetzt von dem kenianischen Unternehmen Avallain, wollen wir Grundkenntnisse im Lesen und Rechnen vermitteln. Ausgangspunkt sind dabei kurze lebendige Videoclips aus der Lebenswelt der Nomaden. Das Filmmaterial stammt aus einer ethnografischen Dokumentation über einen Zeitraum von zwei Jahren und die Clips erzählen Geschichten aus ihrem täglichen Leben wie z.B. das Tränken ihrer Herde, den Verkauf eines Tieres auf dem lokalen Viehmarkt, den Einkauf von Tiermedizin, etc.
Die Entwicklung des E-Learning Programms ist ein iterativer Prozess, bei dem die Nomaden über Inhalte und Themen des Programms mitentscheiden. Ausgehend von einer Pilot-Version werden wir bei Testläufen mit den Müttern und den jungen Kriegern (Moran) ausprobieren, ob wir die Bedürfnisse der Zielgruppen richtig erfasst haben. Wir wollen herausfinden, was sie bewegt und, wie viel Zeit und Energie sie auf die einzelnen Themenblöcke verwenden. Dementsprechend werden die Inhalte verändert und neue hinzugefügt. Über den Erfolg des Projekts entscheiden die Nomaden, denn sie müssen einen direkten Mehrwert aus den Bildungsinhalten ziehen.
Uli Schwarz und Petra Dilthey