Das mit den Toiletten für die Frauen hatten wir uns einfacher vorgestellt. Die Leute in Autonagar wollten sie. Bei unserem letztenTreffen vor der Abreise im April 2010 einigten wir uns mit ihnen sogar auf einen Standort, aber dann passierte nichts.
Als wir im November wieder zurückkamen und mit den Frauen und Männern sprachen, wurde uns schnell klar, dass auch in Indien das Sankt-Florian-Prinzip gilt: Ja, alle wollen die Toiletten. Nein, aber nicht in der Nähe MEINER HÜTTE. Die Kinder würden alles schmutzig hinterlassen und es würde stinken. Baut die Toiletten doch woanders hin …
Gut, das hatten wir verstanden, aber damit wollten wir uns noch nicht zufrieden geben. Also haben wir einen Termin mit dem Ältestenrat einberufen, um das Problem zu besprechen. Dort wurden ähnliche Argumente vorgetragen. Aber wenigstens versprachen sie uns, bis zu unserer Abreise einen gemeinsamen Vorschlag der Slumbewohner zu präsentieren. Der Tag der Abreise war da, aber kein Vorschlag.
Zu Hause sitzen wir vor dem Computer und überlegen, was das jetzt zu bedeuten hat. Wie geht das zusammen? Alle wollen Toiletten, aber keiner will Kompromisse eingehen, damit ein Standort festgelegt werden kann. Ist es das alte Lied vom egoistischen Menschen, den niemand ändern kann?
Ja und nein. Denn das Leben ist kompliziert. Wir sind dann an einem Artikel von Stefan Klein in der Wochenendausgabe der SZ vom 18. Dezember 2010 hängen geblieben. Es ging ganz im Geiste der Vorweihnachtszeit natürlich um Spenden und das Geben, aber auch um Egoismus und warum wir eben nicht geben. Also es scheint so zu sein, dass wir Menschen in grauer Vorzeit zwei sich widersprechende Verhaltensweisen als sinnvoll gelernt haben:
1. Selbstlosigkeit konnte in einer kleinen geschlossenen Gruppe von Vorteil sein, weil sich ja alle füreinander einsetzten, um so das Überleben der Gruppe zu ermöglichen.
2. Egoismus ist dann sinnvoll, wenn keinerlei Druck von außen existiert, der einen Gruppenzusammenhalt erforderlich macht.
Der Mensch und somit die Männer und Frauen in Autonagar sind frei, zu entscheiden, was ihnen den größten Vorteil bringt. Toiletten in der direkten Nachbarschaft sind es wohl nicht. Das haben wir als Realität zu akzeptieren. Für uns ist das ein eher theoretisches Problem, vor allem für die Frauen in Autonagar aber ein täglich spürbares. Müssen wir mit dem Toilettenbau also warten, bis der Leidensdruck für die Frauen so groß wird, dass eine gemeinschaftliche Lösung möglich ist?
Uli Schwarz und Petra Dilthey